Marc Meier – seines Zeichens jüngster und bester Oberarzt Deutschlands – war heute irgendwie nicht er selbst. Dabei hatte der Morgen, für ihn und die Angestellten auf seiner Station, ganz normal angefangen. Wie jeden Morgen war der Chirurg auf der chirurgischen Abteilung angekommen: Mit seinem Schlüsselanhänger spielend und dem brennenden Verlangen nach Kaffee vor der morgendlichen Visite. Wie jeden Morgen saß seine Ex-Freundin Schrägstrich beste Assistenz, ihr Schokocroissant mampfend, im Schwesternzimmer und unterhielt sich mit seiner Stations- und OP-Schwester Sabine Vögler. Die, als sie ihn in ihrem Augenwinkel sah, wie von der Tarantel gestochen, aufsprang, um ihm seinen Kaffee zu bringen. Wie immer hatte er sich umgezogen und sich bei den Damen breit gemacht. Die Zeitung in der einen, den Kaffee in der anderen Hand, hörte er mit halbem Ohr zu, was die Tratschtanten sich zu erzählen hatten und wie immer war nichts Interessantes dabei gewesen.
Auch die Visite war abgelaufen wie immer. Er kommandierte, befehligte und dirigierte sein Personal und niemand kam auf die Idee, seinen Forderungen zu widersprechen. Er konnte sich hervorragend mit seiner ehemaligen Schulkollegin Gretchen „Hasenzahn“ Haase zanken und zur Abwechslung schien sie ihm seine Sprüche nicht krumm zu nehmen. Sie lachte. Ein Segen! So machte ihm die Arbeit Spaß… Und sicherlich hätte es ihm den ganzen Tag Spaß gemacht, wenn er nicht plötzlich etwas hätte suchen müssen: Sein wohlverdientes Frühstück von Frau Ludwig, die herzensgute Bäckerin seines Vertrauens. Er hatte sich so darauf gefreut… Auf seine Apfeltasche! Nicht oft frühstückte er. Vielleicht, hin und wieder, aß er einen Apfel. Aber wenn Frau Ludwig eigene frische Apfeltaschen zubereitete, konnte er einfach nicht widerstehen. Ein Umstand, den er seiner blonden Ex-Freundin zu verdanken hatte. Als sie noch zusammen waren, hatte sie ihm eine gekauft und meinte, dass es ihm nicht schaden würde, mal etwas anderes zu essen und außerdem glaubte sie, er wäre bei der wenigen Nahrungsaufnahme bestimmt unterzuckert. Entgegen seiner Erwartungen, hatte ihm das Teilchen sehr gut geschmeckt und von diesem Tag an, war keine Apfeltasche mehr vor ihm sicher.
Und ausgerechnet heute, wo er einen so unbändigen Heißhunger verspürte, verschwand sein Essen auf mysteriöse Art und Weise. Wie ein Wahnsinniger, rannte er durch die Klinik und scheuchte jeden auf, den er finden konnte. Er hatte verdammt nochmal Hunger!
Zuerst hatte er sein Büro und seinen Spind auseinandergenommen. Ohne Erfolg! Also war er, wütend wie er war, auf die Gynäkologie und in das Behandlungszimmer seines besten Freundes gerauscht und hatte ihm, ohne vorher anzuklopfen und ungeachtet der Patientin auf dem Behandlungsstuhl, eine Szene gemacht.
„Herrgott nochmal, Marc“, platzte dem sanftmütigen Mehdi Kaan schlussendlich der Kragen. „Ich war heute nicht einmal in der Nähe der Chirurgie! Frag doch mal Melanie. Die hatte vorhin auch Kohldampf.“
Doch auch bei seiner vorlauten Schwester hatte der Chirurg kein Glück! Weder mit der Suche nach seiner Apfeltasche noch mit seiner einschüchternden Art.
„Fahr mal einen Gang runter, mein Lieber“, fauchte die Münchnerin ungehalten. „Als ob ich mich an deinen Sachen vergreifen würde, ohne dich vorher zu fragen!“
Auch Sabine wollte keine Ahnung haben, wo das begehrte Frühstück abgeblieben sein könnte. Zehn Minuten überlegte sie, verwirrt faselnd, wo sie heute überall war und was sie an eben diesen Orten zu sehen geglaubt hatte. Pustekuchen, dachte Marc, dem das Gestammel der Gesundheits- und Krankenpflegerin, wie er sie ab sofort nennen sollte, ziemlich auf den Geist ging.
Letzte Anlaufstelle war Gretchen Haase. Wenn es sonst niemand gewesen sein wollte, konnte nur sie für das Verschwinden des süßen Teilchens verantwortlich sein! Aber auch sie stritt ihre Schuld vehement ab.
„Du weißt, dass ich Apfeltaschen nicht mag“, sagte sie ruhig. „Ich frage mich bis heute, warum Du sie magst …“
„Weil sie lecker sind“, antwortete er knapp. „Und in der Not frisst der Teufel fliegen! Niemand sonst wusste von der Apfeltasche. Also …“
„Also – was?“, fragte Gretchen unsicher. Denn Marc kam ihrem Gesicht bedrohlich nah und sein Blick verriet ihr, dass er schon wieder Unsinn in seinem reizenden Köpfchen hatte.
„Ich kenne den ultimativen Test, um deine Unschuld zu beweisen oder eben zu widerlegen“, raunte er ihr zu und klang dabei leicht erregt, was seine Ex-Freundin zunehmend verwirrte und nervös machte.
„Und der da wäre?“, fragte sie leise und für ihren Geschmack, war ihre Stimme dabei ein bisschen zu sehr auf Flirt ausgelegt … Doch eine gesprochene Antwort sollte die Chirurgin nicht mehr bekommen, denn der Frechdachs hatte ziemlich schnell seine Lippen auf die ihren gelegt und sich mit seiner Zunge Zutritt zu ihrem Mund verschafft. Vollkommen überrumpelt, von diesem meierschen Frontalangriff, erwiderte sie den Kuss. Bevor sie wieder zur Besinnung kommen und ihrem Oberarzt eine saftige Ohrfeige verpassen konnte, unterbrach er das heiße Zungenringen und leckte sich genüsslich über die Lippen.
„Chrm… Mhm…“, brummte er. „Eindeutig Schokolade! Auch nicht zu verachten“, grinste er anzüglich. „Erklärt jetzt aber noch immer nicht, wo mein Frühstück abgeblieben ist!“
Die Blondine war noch immer vollkommen von der Rolle und wusste nicht, was sie sagen oder denken sollte, da stiefelte auch schon ihr Verlobter in den Raum! Den hatte sie ja ganz vergessen! Er war vorbeigekommen, um mit ihr einen Kaffee zu trinken – aber es kam ein Notfall rein und sie musste ihn vertrösten.
„Was ist denn mit dem Personal heute los? Wenn man die Schwestern etwas fragen will, ergreifen sie zügig die Flucht“, wollte Thorben Martens, der Versicherungskaufmann von nebenan, wissen.
„Ich suche mein Frühstück und war vielleicht ein bisschen ungehalten“, antwortete Marc.
„Ach! Die Apfeltasche?“
„Äh – jaaaa?!“
„An der habe ich mich hier vorhin vergangen“, erklärte Thorben entschuldigend. „Sie lag so süß, saftig und bereit dazu, vernascht zu werden, auf deinem Schreibtisch. Da konnte ich einfach nicht widerstehen! Aber ich muss gleich noch einmal kurz weg – dann bringe ich dir eine neue mit. Sind so oder so viel besser, wenn sie noch frisch und warm sind!“
Ende
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